





- RegieJoerg Burger
- ProduktionsländerÖsterreich
- Produktionsjahr2023
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen








Filmkritik
Das Standpräparat einer farbenprächtigen Vogelart wird ehrfurchtsvoll in den Raum getragen, wo es für den Katalog fotografiert werden soll. Die „Kostbarkeit“ aus der Menagerie von Kaiser Franz ging 1832 in den Besitz des Naturhistorischen Museums in Wien über. Heute, so heißt es in „Archiv der Zukunft“, findet man von dem mittlerweile ausgestorbenen „Ara tricolor“ nur noch 19 oder 20 Präparate auf der ganzen Welt.
Im Museum in Wien ist viel von dem Einzigartigen, Seltenen und Außergewöhnlichem die Rede. Zugleich aber ist die Institution ein Ort der Masse. Hunderte, wenn nicht tausende von Schmetterlingen und Käfern, in Sammlungskästen symmetrisch arrangiert und mit bezifferten Etiketten versehen, Schubladen voller Vögel, in länglichen Glasbehältnissen konservierte Reptilien und mit Mineralien und Tierpräparaten gefüllte Lagerhallen: Mehr als 30 Millionen Sammlungsobjekte zählt das 1865 an der Ringstraße eröffnete Museum; nur ein Bruchteil davon sind in Vitrinen als Schauobjekte der Öffentlichkeit zugänglich.
In „Archiv der Zukunft“ von Joerg Burger sind die Ausstellungsräume, durch die täglich auch Schulklassen hindurchwalzen, nur am Anfang des Films zu sehen. Den Dokumentarfilmer interessieren die nicht zugänglichen Bereiche des Museums, wo Menschen in alten Gemäuern an der Bewahrung, Erweiterung, Forschung und Präsentation der umfangreichen Bestände arbeiten. Diese umfassen alles, was der Mensch auf der Erde und im Weltall gefunden, zusammengetragen und erbeutet hat. Die Sammlung hat sich der Grundlagenforschung verschrieben. Sie dient dem reinen Wissenszuwachs und hat keine unmittelbare Anwendung. Der taxonomische Katalog orientiert sich fast ausschließlich an der evolutionären Verwandtschaft.
Ein imperialer Prachtbau
„Archiv der Zukunft“ dokumentiert die verschiedenen Abteilungen des Museums und lässt, oftmals im fließenden Übergang von Off-Stimme und Talking Heads, namenlose Museumsangestellte zu Wort kommen. Auf einer Art Operationstisch wird ein Raubtier vermessen. Eine Wissenschaftlerin nimmt die DNA-Probe eines Warans. Im Hof wird ein Brandexperiment durchgeführt, bei dem ein Schweinchen abgefackelt wird. Ein ganzes Team ist damit beschäftigt, eine horizontal gelagerte Giraffe die Treppe des imposanten Eingangsbereichs hinaufzubefördern. Die Tätigkeiten des Museums erstrecken sich auch auf nahegelegene Gewässer und reichen bis zum Dach des imperialen Prachtbaus. Eine dort installierte Radarantenne dokumentiert Boliden.
Auch ehrenamtliche Mitarbeiter:innen sind an der Sammlungsarbeit beteiligt. Eine Pensionärin, die seit 25 Jahren zu den Freiwilligen gehört, klopft geduldig Sand aus Fossilien. Das sei meditativ; außerdem lerne sie etwas dabei. In verschiedenen Etappen begleitet der Film auch den Aufbau eines 220 Millionen Jahre alten Plateosaurus aus der Triaszeit. Bei der letzten Ausstellung schleifte der Schweif noch auf dem Boden. Ein wissenschaftlicher Irrtum, den es bei der Neupräsentation zu korrigieren gilt.
Joerg Burger, der auch die Kamera führt, nähert sich der Institution mit systematischem, aber sichtbar gebanntem Blick. Dass der Film selbst permanent mit Serialität und Addition arbeitet und damit die Sammlungstätigkeit des Museums nicht nur dokumentiert, sondern auch wiederholt, ist im Genre Sammlungsporträt ein Stück weit angelegt. Wobei Burger mit verschiedenen Blickperspektiven, Einstellungsgrößen und Bildmontagen das Nüchterne des Katalogisierens wiederholt aufbricht. Zudem sucht er den direkten „Blickkontakt“ mit den ausgestopften Lebewesen und holt versteckt Skurriles wie Unheimliches hervor.
Die Abgründe der Sammlerei
Dass die Idee einer Sammlung „aller Kondensate und Kristallisationspunkte, die wir später einmal brauchen werden“, problematische Aspekte haben könnte, und auch durch die eigene Wissenschafts- und Sammlungsgeschichte kontaminiert ist, steht in „Archiv der Zukunft“ implizit mit im Raum. Aber erst gegen Ende des Films bringen Mitarbeitende den eigenen Beitrag an Kolonialexpansion und Rassenkunde zur Sprache. Im Archiv finden sich Unterlagen über Safari-Dienstreisen ehemaliger Mitarbeiter:innen und zu Vermessungen, die während der Nazizeit von Anthropologen des Museums im Wiener Prater an lebenden Menschen durchgeführt wurden. Die Opfer dieser Forschungen, polnische Juden, wurden danach nach Buchenwald deportiert. Die historische Aufarbeitung der Museumsgeschichte, so kann man nachlesen, ist noch relativ jung und kam erst durch kritische Anfragen von Presse und Politik ins Rollen. Noch im Jahr 1996 wurden in einem Saal des Naturhistorischen Museums „Menschenrassen“ in Form von Schädeln und Fotos ausgestellt.
Trotz des Exkurses in Provenienzforschung und Restitution versteht sich die Dokumentation nicht vorrangig als institutionenkritisches Porträt. „Archiv der Zukunft“ wird vielmehr von einer Faszination für die Sammlungsobjekte und -tätigkeiten getragen. Als Film ist er dabei selbst ein wenig eine Wunderkammer.