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Filmkritik
Diesem Zeichentrickfilm, sehr frei nach H. C. Andersen, gelingt mühelos, woran zahlreiche Vorläufer scheiterten: Er funktioniert sowohl als buntes und auch lustiges Märchenabenteuer für Kinder, als auch als ernste und anspruchsvolle Geschichte für Erwachsene. - Der König hat sich ein gigantisches Schloß errichten lassen, in dem er seine Herrschsucht nach Belieben ausleben kann - das Volk aber schmachtet unter der Erde, einzig dazu da, dem Grausamen zu huldigen.
Eines Nachts aber geschieht das Ungeheuere: Zwei Figuren aus der Gemäldesammlung des Königs erwachen zum Leben - die schöne Schäferin und der Schornsteinfeger; sie bekennen einander die Liebe und bereiten ihre Flucht vor. Der König aber begehrt selbst das Mädchen und setzt nun alles daran, mit seinem Riesenapparat an Spitzeln und Schergen dem vorwitzigen Treiben von Liebe und Fantasie Einhalt zu gebieten. Die Fliehenden aber finden in einem Vogel, der frei auf den Zinnen des Schlosses wohnt, ihren Verbündeten. Und mit dessen Hilfe richtet sich die Gewaltmaschinerie des Königs mehr und mehr gegen sich selbst. Zuletzt liegt das System durch die eigene Gewalt zerstört in Trümmern. Die Liebenden und die unterdrückten Menschen aber sind frei.
Ganz so harmlos, wie es in der inhaltlichen Verkürzung erscheint, ist diese Geschichte freilich doch nicht und auch die bisweilen disneyhafte Gefälligkeit der Bilder täuscht. Was sich dem Kind als bezauberndes Märchenabenteuer eröffnet, wird dem aufmerksamen Erwachsenen zum politischen Gleichnis und zum literarischen Genuß. Jacques Préverts Buch ist ein vertracktes Spiel mit Realitätsebenen und politisch-existenziellen Bildern. Die Geschichte ist zu Beginn als eine Art Traum angelegt, wird aber zum Schluß nicht wieder als solcher aufgelöst. Die reale Existenz des Königs wird nämlich von dessen eigenem Traumkonterfei vernichtet; somit ist die Fantasieebene fast von Anfang an als neue Realität unwiderruflich postuliert, die Macht der Poesie und der Liebe ist begründet und der Sturz des Unrechtssystems somit nurmehr eine Frage der Zeit. Das hat einiges mehr mit "Utopie" als mit platter Märchen-Idylle zu tun. Das "utopische" Gegenbild zum König bildet ironischerweise der Vogel: Er hat dem König der Menschen die "Menschlichkeit" voraus und den einfachen Menschen die Freiheit.
Eine wirkliche Meisterleistung ist der Entwurf des Schlosses. Gleichsam als Sinnbild für den Mißbrauch menschlicher Kreativität durch die Mächtigen im Laufe der Jahrtausende ist dieses Schloß ein schauerliches, unstimmiges Disneyland der Macht. In dem irrsinnigen stilistischen Sammelsurium zwischen Antike, venezianischer Gotik, Neuschwanstein und Wolkenkratzerarchitektur wird wie in Piranesis Seelenkerkern die Unmenschlichkeit direkt manifest, und die herrlich kitschige Szenerie erweist sich bei näherem Hinsehen als einzige Menschenfalle voller Verliese, Falltüren, Bespitzelungsapparaturen. Besonders gelungen ist auch, wie sinnfällig diese Architektur der Angst die Dramaturgie des Films bestimmt - und umgekehrt. Die gegenseitige Bedingung von Topografie und Handlungsbewegung ist ja ein wichtiges Merkmal für das Gelingen eines Films überhaupt und für eine so beispielhafte Märchenerzählung wie diese erst recht - eine Märchenerzählung, die dem Zuschauer einiges über Macht, soziale Hackordnung und Organisation des totalitären Staates ins Gedächtnis ruft.