







- RegiePetr Lom
- ProduktionsländerNiederlande
- Produktionsjahr2025
- Dauer88 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating6.7/10 (119) Stimmen
Vorstellungen










Filmkritik
Die Sonne ist aufgegangen. Nebelwolken hängen zwischen den bewaldeten Uferhängen über dem Fluss. Noch ist es still. Doch dann beginnen sich die Vögel zu regen, deren Gesang von einer Flöte aufgegriffen wird. Alles ist entspannt und ruhig. Über der friedlichen Atmosphäre schweben die ersten Titel, die den Weg weisen: „Das ist ein Film über den Whanganui River in Aotearoa/Neuseeland. Er ist der erste Fluss, der als juristische Person anerkannt wurde.“
Deshalb wird der Fluss auch im Vorspann genannt, quasi wie ein Darsteller. Das wirkt fast beschwörend, erfüllt aber seinen Zweck, fast als Ausrufezeichen. Obwohl der Whanganui gar nicht die Hauptrolle spielt, ist der Fluss immer gegenwärtig, aber eher wie ein unauffälliger Vermittler. Er verbindet die Menschen, die auf ihm fahren; er bringt sie zusammen und lässt sie für sich und miteinander zur Ruhe kommen. Das gilt generell für Fluss- und Seereisen, die durchaus entspannend sein können. Auch die Dokumentation von Petr Lom bedient sich dieses Effektes: mal plätschert der Film ruhig dahin, mal wird er lebhafter, denn der Whanganui kennt auch Stromschnellen. Das Wasser hat eine besondere Wirkung auf die Menschen; das Wissen darüber ist bei indigenen Völkern deutlicher ausgeprägt als in der Zivilisation.
Anrufung der Ahnen
Die Reisenden, die mit zwei Kanus den Whanganui befahren, werden bei ihrer Ankunft mit einem Willkommensgesang der Māori begrüßt. Und am Abend wird die Gesellschaft von dem Stammesführer Ned mit einem „Ruruku“ geehrt; einer Art Gebet in Gestalt eines Sprechgesangs, mit dem man sich an die Ahnen wendet. Ned bittet darum, dass Herz, Körper und Geist der Menschen befreit werden. Es ist nicht das einzige Ruruku auf dieser Reise.
Ned übernimmt mehr und mehr die Hauptrolle. Er hält den Film zusammen. Durch seine Persönlichkeit, seine gleichzeitig beruhigende und aufmunternde Ausstrahlung, aber auch durch seinen Humor und seine erzählerische Fähigkeit wird er ungewollt zum Star des Films. Ohne dass darüber die Bedeutung des Whanganui geschmälert würde. Der Fluss steht im Fokus des Geschehens und ist der Grund für die Reise. Die Menschen sind gekommen, um ihn zu besuchen und um etwas von ihm zu lernen. Der Fluss entscheidet auch darüber, wann die Reise losgeht. Als es so weit ist, befestigt Ned nach Art der Māori frisches Grün am Bug der Kanus.
Ned ist ein etwas älterer, stämmiger Mann mit einer Tätowierung im wettergebräunten Gesicht. Er ist nicht nur Gemeindevorsteher, sondern auch Flusswächter. Als solcher trägt er die Verantwortung für die Reisenden. Von ihm lernen sie, sich wie ein Māori mit ihrem Namen, ihrem Fluss und ihrem Berg vorzustellen und auf die kommende Tour einzustimmen. Das Verhalten an Bord ist wichtig; der Umgang mit den Paddeln muss geübt werden. Als die Reise beginnt, sind alle vorbereitet; schon nach ein paar Metern spürt Brendan aus Australien, wie ihn „alles Ungesunde verlässt“. So ähnlich ergeht es auch den anderen.
Der Whanganui als Rechtspersönlichkeit
Die Filmcrew ist dabei in den Film integriert. Dadurch wird „I Am The River, the River Is Me“ zugleich zu seinem eigenen „Making of“. Das macht den Film nicht nur authentischer, sondern auch sehr unterhaltsam. Während die beiden Kanus über den Whanganui gleiten, wird die Geschichte vom Kampf der Māori um den Fluss erzählt, von den Anfängen in den 1930er-Jahren bis zur Anerkennung des Flusses als juristische Person. Der Whanganui ist seit 2017 als Rechtspersönlichkeit anerkannt. Das bedeutet aber nicht, dass er dieselben Rechte und Pflichten wie ein Mensch hat. Bilder zeigen die Verkündung im Parlament in Wellington, die von Māori mit Gesängen inklusive eines Haka gefeiert werden.
An Bord lernen sich die Reisenden kennen, während die scheinbar unberührte Landschaft an ihnen vorüberzieht, mit Felswänden, aus denen Wasserfälle in den Fluss stieben, und kleinen Geröllinseln, die zur Rast einladen. Unterwegs gibt es viele Geschichten, die erzählt werden wollen, etwa die von Brendan und seiner Tochter Melissa, die beide bei den First Nations in Australien aktiv sind und die ebenfalls einen Fluss retten wollen. Der Whanganui war nicht immer so frisch und grün wie heute. Früher war er stark verschmutzt; das Abwasser von Fabriken und Städten strömte ungeklärt in ihn hinein. Doch das hat sich geändert; heute ist der Fluss eine grüne Oase. Wenn zwischendurch Motorboote mit offenbar gut gelaunten Menschen im Hintergrund durchs Bild fahren, wirkt das gleichermaßen störend wie schmerzhaft.
Erst ganz am Ende gibt es Aufnahmen von der Fauna und Flora am Fluss. Während der Kanutour wird die Natur nicht eigens hervorgehoben, sie ist einfach präsent – ein integraler Bestandteil der Reise, so wie sich auch die Menschen dem Fluss und ihrer neuen Umgebung anpassen.
In der Welt der Māori
Die Besonderheit des Dokumentarfilms ist gleichzeitig seine größte Stärke. Er besitzt nicht nur eine außergewöhnlich beruhigende Wirkung, sondern tendiert wider Erwarten auch nicht Richtung Naturfilm, obwohl es viele grandiose Bilder gibt. Vielmehr ist „I Am The River, the River Is Me“ eine meditative und zugleich auch sehr kommunikative Reflexion über das Leben an sich, am und auf dem Fluss. In den letzten Jahren ist das Schicksal der indigenen Völker immer stärker in den Vordergrund gerückt, nicht nur in Neuseeland, sondern auch in Australien. Oft geht es dabei um die Vergangenheit und um die Gräuel, die den Ureinwohnern während der Kolonialzeit und teilweise auch danach angetan wurden. Doch der Film will nicht anklagen; er ist vielmehr appellhaft in die Zukunft gerichtet. Seine Erzählungen, inmitten der friedliche Atmosphäre der Flussfahrt, wirken umso stärker. Auch sie werden durch die Menschen, die sich fünf Tage lang auf dem Fluss kennenlernen und austauschen, zum Bestandteil der Landschaft am Whanganui.