



- RegieKeith Scholey, Toby Nowlan
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Produktionsjahr2025
- Dauer105 Minuten
- GenreDokumentation
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen










Filmkritik
Schon bevor man überhaupt etwas sieht, hört man das Meer. Nicht leise dräuende Wellen, die rhythmisch gegen den Strand rollen, sondern eine dröhnende Urgewalt, die sich unentwegt auftürmt, wieder zusammenstürzt und fortwährend verwandelt. Doch ehe sich ein Anflug der Panik früherer Seefahrer ausbreiten kann, hört man die sonore Stimme des britischen Naturfilmers David Attenborough, der staunend resümiert, dass der Ozean der wichtigste Ort auf der Erde sei. Erst jetzt im Alter, nach fast hundert Jahren, sei ihm klar geworden, dass die Welt unterhalb der Wasseroberfläche weit lebendiger, vielfältiger und entscheidender sei als all das, was sich in der Luft oder auf dem festen Erdboden regt. „Der Ozean ist das Lebenserhaltungssystem unseres Planeten“, resümiert der Naturforscher, „es ist unser größter Verbündeter gegen die Klimakatastrophe“. Attenborough steht an der britischen Kanalküste und schaut wie Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer in die Weite. Dann aber wendet er sich unmittelbar an die Zuschauer und ruft beschwörend aus: „Doch der Ozean steht an einem Wendepunkt: Wir entziehen ihm das Leben.“
Ein betörendes Reich unter Wasser
Darum geht es in diesem bildgewaltigen Kinoerlebnis, das auf eine betörende, im besten Sinne spektakuläre Reise ins Reich unter Wasser mitnimmt, um nach einer halben Stunde abrupt das Register zu wechseln, weil die Menschen die maritime Wunderkammer in ihrer Gier systematisch zerstören. Das geschieht rund um den Globus, mit katastrophalen Folgen für die ökologischen Systeme, aber auch für die menschlichen Gesellschaften, wenn afrikanische Fischer ihre Familien nicht mehr ernähren können oder die Kaiserpinguine den Krill mit schwimmenden Fabriken teilen müssen, die Hundefutter für die Discounter daraus machen.
Es sind Bilder von schneidender Klarheit, wenn die Kamera von Santiago Cabral über das arktische Schelfeis hochzieht und mit drei stählernen Schiffsmonstern konfrontiert wird, die mit mechanischer Unbeirrtheit ihr zerstörerisches Werk verrichten. Oder wenn vor der liberianischen Küste ein viele Stockwerke hoher Trawler die Kanus der Afrikaner kreuzt, die kaum noch etwas in ihren Netzen finden, da selbst die Küstengewässer leergefischt sind. Die langen Gesichter der Menschen sagen so viel mehr als die eher spärlich gesetzten Interviews, in denen Einheimische auf den britischen Inseln oder auf Hawaii von den bedrohlichen Veränderungen berichten.
Glücklicherweise erschöpft sich der Dokumentarfilm von Toby Nowlan, Keith Scholey und Colin Butfield nicht in apokalyptischer Düsternis. Obwohl der Inszenierung eine gewisse Lust an holzschnittartiger Zuspitzung nicht abzusprechen ist, verfolgt „Ozean“ eher pädagogisch-aufklärerische Interessen. Der durch seine vielen Naturfilme berühmte David Attenborough ist als Präsentator dafür eine ideale Figur, um grundlegende Zusammenhänge einsichtig zu machen, etwa die Bedeutung der unterirdischen Meeresgebirge für Artenreichtum oder die höchst kreative Symbiose von Korallen mit den Algen, auf der ihre enorme ökologische Bedeutung gründet. Die hochauflösenden Digitalbilder überwältigen durch die pure Schönheit verführerischer Seetangwälder, den gewaltigen Reichtum des maritimen Lebens oder der Eleganz von Walen und Thunfisch-Schwärmen, wenn die durch die lichtblauen Weiten pflügen.
Schleppnetze zerstören alles
Doch all das ist auf den Tod bedroht, seitdem die Menschheit den Ozean als Ressource für sich reklamiert und mit industrieller Gründlichkeit ausbeutet. Der Film fokussiert dabei nur auf ein einziges Thema, um seinem alarmierenden Grundanliegen die denkbar klarste Schärfe zu verleihen: auf die desaströsen Folgen der Schleppnetzfischerei. Dabei werden gigantische Stahlnetze über den Meeresboden gezogen und alles, was sich dort befindet, mit brutaler Kraft an Deck gehievt, obwohl nur ein Bruchteil der Fische weiterverarbeitet werden kann, während fast alles andere als Abfall wieder ins Meer gespült wird. Doch wo zuvor eine über Jahrzehnte gewachsene Unterwasserwelt gedieh, ist nun alles Leben ausradiert; die Schneisen der Vernichtung, die auf dem Meeresboden hinterlassen werden, sind noch vom Weltall aus zu sehen.
Am Rand blitzt auch mal die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll auf oder hört man davon, dass im Ozean ein Drittel des Sauerstoffs entsteht, sehr viel CO2 gebunden wird und ein großer Teil der Menschheit seine Ernährung aus dem Wasser bestreitet. Doch das eine Thema der industriellen Schleppnetzfischerei genügt den Machern. Denn der Film zielt auf einen dritten Schritt, mit dem er auch eine Lösung in Aussicht stellt. „Der Ozean kann sich schneller erholen, als man gedacht hat“, wundert sich Attenborough, der auf Erfahrungen mit Schutzzonen an der britischen Küste verweist, wo Fischfang verboten ist – und das Meer nach geraumer Zeit allmählich wieder zu neuem Leben erwachte. Viele der betörenden Tauchgänge durch die magisch gelben Kelpwälder stammen vom „Shallow Sea Forest“ nahe den britischen Scilly-Inseln, wo sich inzwischen selbst wieder große Beutejäger tummeln, weil sich die unterirdische Flora und Fauna im Schutzgebiet regeneriert haben. Wenn ein Drittel der Weltmeere unter einen ähnlichen Schutz gestellt würde, also der Fischfang und jede andere Nutzung verboten würde, glauben Meeresforscher, könnte sich das Leben im Ozean wieder erholen.
Eine überwältigende Fülle
Genau diese Forderung wird im Juni 2025 auf der UN-Ozeankonferenz (UNOOC 25) in Nizza verhandelt, bei der die Weltgemeinschaft um Regeln für einen nachhaltigen Umgang mit den Weltmeeren ringt. Wenn man will, könnte man „Ozean mit David Attenborough“ als Weckruf für dieses Veranstaltung missverstehen; das aber würde seiner überwältigenden Fülle und visuellen Schönheit nicht gerecht. Nur der pathetische Soundtrack von Steven Price will so gar nicht zur filigranen Buntheit des maritimen Universums passen.