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Filmkritik
Eine Familie stellt sich der Reihe nach auf, wie für ein gemeinsames Foto. Die beiden Töchter treten zuerst ins Bild, dann Mutter und Vater. Ihr Auftreten wirkt so geordnet und typisiert, dass sich eine subtile Irritation einschleicht, verstärkt durch ihren direkten Blick in die Kamera. Um die vier Personen herum ist alles in gedeckten Farben arrangiert. Ein Stahlrohr-Designsofa, elegante Vorhänge und ein paar Zimmerpalmen verweisen auf ein gehobenes Milieu. Bei genauerer Betrachtung wirkt das räumliche Arrangement jedoch merkwürdig leer und unbestimmt, so als wäre alles nur ein künstlicher Platzhalter, wie Plastik-Bücher in einem IKEA-Geschäft. Jede Zimmertür ist mit einem Codeschloss versehen, grellrote Schilder warnen vor dem Zutritt, das einzige Bild an den Wänden ist eine Karte des europäischen Kontinents.
Verstörendes neben Vertrautem
Momente der Kollision zwischen scheinbar Vertrautem und etwas latent Verstörendem bilden die ästhetische Quintessenz von Filmen der sogenannten „Greek Weird Wave“, zu der sich neben den bekanntesten Vertretern wie Yorgos Lanthimos oder Athina Rachel Tsangari auch der Regisseur Alexandros Avranas zählen lässt. In „Quiet Life“ setzt er sich mit den traumatischen Folgen einer Asylpolitik auseinander, die aus der Kombination von äußerlicher Fürsorge und unterschwelliger Entmenschlichung durch staatliche Institutionen hervorgeht. Reales Vorbild für die Geschichte von „Quiet Life“ lieferte eine Reihe aufsehenerregender Fälle in Schweden. Um die Jahrtausendwende herum verfielen Hunderte Kinder von Geflüchteten aus der ehemaligen Sowjetunion und dem Balkan in einen katatonischen Zustand, als die Asylverfahren ihrer Familien abgelehnt wurden. Warum diese Fälle, die von extremer Apathie bis zum Wachkoma reichten, so gehäuft und gerade in Schweden auftraten, war zunächst schwer zu verstehen.
Für Avranas und seinen Co-Autor Stavros Pamballis bilden diese Vorfälle in ihrer Rätselhaftigkeit den Ausgangspunkt für eine klinisch-kühle Analyse seelischer Zumutungen von Asylsuchenden. Dabei entlarven sie die Institutionen, die ihnen eigentlich helfen sollten, als kafkaeske Bürokratien, in denen soziale Ablehnung verwaltet wird.
Retraumatisierungen im Asylverfahren
Die Geschichte einer russischen Dissidentenfamilie in einer nicht näher bezeichneten schwedischen Stadt dient ihnen als Parabel delegierter Traumatisierungen, die durch den psychischen Zusammenbruch der Kinder sichtbar wird. Sergej (Grigori Dobrygin), Natalia (Chulpan Khamatova) und ihre beiden Töchter Katja und Alina sind ein Musterbeispiel perfekter Integration. Die Kinder sprechen makellos Schwedisch, engagieren sich in Schulchören und Turnvereinen. Ihre Eltern verhalten sich gegenüber den Behörden stets höflich und vorbildlich; sie warten auf einen Bleibebescheid, der ihnen aufgrund von politischer Verfolgung auch zusteht. Doch Bemühungen werden bei jedem Kontakt mit der Institution auf immer absurdere Weise zu einem unmöglichen Anliegen verkehrt.
Schon in der ersten Szene erhält die Familie Besuch von behördlichen Mitarbeitern in farblosen Trenchcoats, die ihren Wohnraum inspizieren und unangemessene Fragen stellen: Sind die Küchenschränke ordentlich eingeräumt? Ist das Essen auf dem Herd gesund? Machen sich die Kinder gut in der Schule? Was zur Unterstützung in prekären Verhältnissen gedacht sein sollte, tritt als unterschwelliges Verhör in Erscheinung, das einen Makel entdecken will und den Hilfesuchenden ihre Würde nimmt.
Wenig später wiederholt sich die Konstellation auf dem Amt. Von einer Sachbearbeiterin in weißer Rüschenbluse wird die erlittene Gewalt der Erwachsenen detailliert in Anwesenheit der Kinder verlesen, nur um diese dann aus Mangel an Beweisen für haltlos zu erklären. Der Asylbescheid wird abgelehnt; ein Berufungsverfahren ist nur mit zusätzlichen Zeugenaussagen möglich. Erneut zeigt sich eine pervertierte Verkehrung, denn den Behörden ist bekannt, dass die jüngste Tochter bei dem Anschlag auf ihren Vater mit dabei war. Bislang wurde sie aus dem juristischen Verfahren herausgehalten, um sie nicht noch mehr zu belasten. Weiter um das Asyl zu kämpfen, bedeutet damit, das eigene Kind retraumatisieren zu müssen.
Das P.A.P.A.-Programm
Beim Versuch, von diesen Erfahrungen zu berichten, fällt die überwältigte Katja (Miroslava Pashutina) plötzlich in einen komatösen Zustand und wird in eine Kinderklinik eingewiesen. Dort ist sie nicht der erste Fall mit diesen Symptomen. Ein Team aus Psychiaterinnen und Pflegern weist die Eltern zurecht, anstatt sie zu unterstützen. Bevor sie ihre Tochter besuchen dürfen, müsse erst ein Achtsamkeitstraining mit dem Akronym P.A.P.A. absolviert werden, um sicherzustellen, dass Katja nicht durch Stress zusätzlich gefährdet werde. Das P.A.P.A.-Kürzel steht für „Past, Asylum, Problems and Anxiety“ – vier Faktoren, deren Thematisierung die Eltern in Zukunft meiden sollten, zum Wohle ihrer Kinder, natürlich.
Die Abfolge dieser Szenen ist mit provozierender Langsamkeit inszeniert, die den Blick auf kleine Verschiebungen freimacht. Je länger die Kamera bei den namenlosen Beamten und Therapeuten verweilt, desto mehr verwandelt sich ihr banales Auftreten in etwas Furchteinflößendes. Ein Lächeln wird zum Zähnefletschen, die aufgesetzte Freundlichkeit verdeckt kaum die psychologische Manipulation. Dabei wird deutlich, dass es nicht um Einzelpersonen, sondern ein schwer greifbares strukturelles Problem geht. „Ich bin da, um Ihnen zuzuhören“, offeriert eine Ärztin der verzweifelten Natalia einmal. Und fügt sanft hinzu: „Aber wenn Sie nicht mit mir sprechen wollen, kann ich Sie vom Besuch Ihrer Tochter ausschließen.“ Wenig später folgt auch Alina (Naomi Lamp) ihrer jüngeren Schwester in den komatösen Zustand; auch sie hatte versucht, vor dem Asylgericht das Trauma ihrer Familie zu bezeugen.
Die Gewalt der Institutionen präsentiert sich in „Quiet Life“ nicht durch Einsatzkommandos, die Menschen verhaften und Abschiebungen durchsetzen, sondern als „Soft Power“, die formal fürsorglich auftritt und sich die Hände nicht schmutzig macht. Da sie gleichzeitig aber mit subtiler Entmenschlichung einhergeht, erzeugt sie einen inneren Widerspruch, der psychisch kaum zu verarbeiten ist. Die Filme der „Greek Weird Wave“ haben zur Sichtbarmachung solcher Double-Bind-Phänomene ein raffiniertes ästhetisches Repertoire entwickelt. Das szenische Durchspielen von paradoxen Botschaften führt durch die grotesk-absurde Gestaltung zu konkreten Erkenntnisgewinnen. Im Fall von „Quiet Life“ zeigt sich das als kritischer Blick auf neue Formen der Biopolitik und ihre zerstörerischen Effekte auf die Individuen. So sieht man in einer Szene die traumatisierten Kinder nebeneinander in einem riesigen Schlafsaal am Tropf hängen, während ein Pfleger auf dem Keyboard ein Schlaflied für sie spielt.
Abwehrreflexe der bürgerlichen Welt
Ob das sogenannte Resignationssyndrom, das der Film ins Zentrum stellt, für sich genommen existiert, ist dabei gar nicht die entscheidende Frage. Tatsächlich gibt es mehrere Erklärungen für das lokale Auftreten solcher Phänomene. Schweden war lange für eine liberale Asylpolitik bekannt, die vor allem das Kindeswohl ins Zentrum stellte. Familien mit schwer kranken oder traumatisierten Kindern wurden grundsätzlich nicht abgewiesen, sondern geduldet. Damit aber war eine jahrelange Unsicherheit mit Blick auf den Bleibestatus verbunden, der überdies mit den Problemen der Kinder korreliert war. Insofern ist es erklärbar, dass ein solches Syndrom gerade in Schweden und osteuropäischen Familien auftrat, die untereinander in engem Kontakt standen. Der Umstand, dass es bei psychischen Erkrankungen tatsächlich auch soziale Ansteckungseffekte gibt, bedeutet allerdings nicht, dass sie auf Einbildung beruhen. Flucht und Vertreibung ist häufig mit Traumatisierungen verbunden. Wie diese sichtbar werden, hängt auch mit den Hilfsangeboten und den Sicherheitsversprechen des Aufnahmelandes zusammen.
Trotz seiner beißenden Kritik ermöglicht „Quiet Life“ im letzten Drittel des Films auch andere, solidarischere Perspektiven auf den Umgang mit Asylsuchenden. In der Figur einer vormals selbst geflüchteten Krankenschwester, die die russische Familie heimlich unterstützt, zeigt sich, dass man Bürokratien auch unterlaufen kann, wenn man deren Diskurse kennt und für sich zu nutzen versteht: „Zeigt ihnen einfach, was sie sehen wollen. Und glaubt nicht alles, was sie erzählen“, rät sie den Eltern.
Eine ältere Schwedin stellt den Geflüchteten Wohnraum und ein Auto zur Verfügung, als sie untertauchen müssen. Ironischerweise finden sie erst im Versteck die nötige Ruhe und Sicherheit, um sich als Familie neu zu konsolidieren. Auch in diesen Passagen bleibt die Inszenierung dem Absurden verpflichtet. Wenn Sergej und Natalia ihren apathischen Töchtern Sonnenbrillen aufsetzen und sie zu russischer Pop-Musik durch die Stadt fahren, wirkt das gleichermaßen hoffnungsvoll und verzweifelt.
„Quiet Life“ versucht weder tagespolitische Debatten aufzugreifen noch konkrete Lösungsvorschläge für die Situation von Asylsuchenden zu formulieren. Durch das stilisierte Setdesign gelingt es dem Film, die Erfahrungen von Geflüchteten als etwas darzustellen, das sich nicht vermeintlich am Rande der Gesellschaft abspielt, sondern mitten in der Alltagswirklichkeit einer bürgerlichen Normalität. Durch das geschickte Spiel mit Typisierungen und Verfremdungseffekten wird diese Welt angehalten, sich mit ihrer eigenen Abwehr zu beschäftigen.