









- Veröffentlichung24.07.2025
- RegieMike Flanagan
- ProduktionVereinigte Staaten (2024)
- Dauer110 Minuten
- GenreDramaKomödieScience FictionFantasy
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.6/10 (1352) Stimmen
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Filmkritik
Tanz ist wohl nicht das Erste, was man mit Stephen King assoziiert – oder wenn, dann allenfalls den Totentanz, den „Danse Macabre“, wie er ihn im Titel seines Sachbuchs über „Die Welt des Horrors“ (1981) herbeizitierte. Tatsächlich aber spielt auch das Tanzen als etwas Lustvoll-Lebendiges in Kings Werken eine Rolle, am markantesten wohl im Zeitreise-Roman „Der Anschlag“, wo es an einer Stelle heißt: Tanzen ist Leben. Ähnlich wie das Radfahren in „Es“, wenn der Protagonist Bill Denbrough auf seinem klapprigen, aber blitzschnellen Drahtesel „den Teufel schlägt“, ist die flotte Lindy-Hop-Sohle, die in „Der Anschlag“ zu den Klängen von Glenn Millers „In the Mood“ aufs Parkett gelegt wird, ein bewegt-bewegender Widerstand menschlichen Lebenshungers gegen die große existenzielle Düsternis, die King in seinen Büchern immer wieder auslotet: gegen das Böse, die Angst, den Tod.
Die Füße tanzen, im Kopf wächst der Tumor
Auch die Erzählung „Life of Chuck“, die King 2020 in dem Band „Blutige Nachrichten“ veröffentlichte, und deren Verfilmung durch Mike Flanagan präsentieren als Herzstück eine Tanzszene. Der Buchhalter Charles „Chuck“ Krantz (Tom Hiddleston), der wegen einer Konferenz in einer fremden Stadt weilt, geht nach Feierabend spazieren. Dabei wird er von den Schlagzeug-Beats einer Musikerin gepackt, stellt seine Aktentasche auf dem Asphalt ab und fängt einfach an, sich zu der Musik zu bewegen. Er tanzt sich frei; andere Passanten bleiben stehen, applaudieren und feuern ihn an; eine junge Frau, die eigentlich in schlechter Stimmung ist, weil sie von ihrem Freund verlassen wurde, lässt sich mitreißen und macht aus dem Solotanz einen schmissigen Pas-de-deux.
Das ist ein aus dem Alltagstrott herausragender Lebenskunst-Moment, entstanden durch das spontane Miteinander von Musikern, Tanzenden und Zuschauern, der umso heller strahlt, weil man zu diesem Zeitpunkt schon weiß, was danach kommt. Die Tanzszene ist der Mittelteil eines Werden-Sein-Vergehen-Triptychons in umgekehrter Reihenfolge. Wenn Chucks Füße übers Pflaster stampfen und hüpfen, ist schon bekannt, dass in Chucks Kopf ein tödlicher Tumor wächst, der dem 39-jährigen Familienvater innerhalb weniger Monate das Leben kosten wird.
Regisseur Mike Flanagan ist ein bekennender Stephen-King-Fan, der bereits Kings „Doctor Sleep“ verfilmte und derzeit an einer Serienadaption von „Carrie“ arbeitet. Er bleibt nahe am literarischen Text und übernimmt dessen dreigeteilte Struktur. Vor der Daseinsfeier der Tanzenden kommt ein Kapitel, in dem auf fantastisch überhöhte Weise von der Ungeheuerlichkeit des Todes erzählt wird. Das Sterben von Chuck, der zunächst nur ein Gesicht auf rätselhaft auftauchenden Reklame-Tafeln und in Werbespots ist, wird als Weltuntergangsszenario imaginiert, geschildert aus der Perspektive eines Lehrers. Dieser Marty Anderson (Chiwetel Ejiofor) erlebt, wie allmählich weltweit alle tragenden Strukturen, vom Internet bis zum Erdboden, marode werden und zusammenbrechen. Das „Dying of the Light“, wie der Dichter Dylan Thomas in seinem berühmten Gedicht das Sterben umschreibt, wird hier vergrößert zum Erlöschen eines ganzen Firmaments.
Der Tod eines Menschen als Weltuntergang
Damit soll fühlbar werden, was im dritten Teil dann im Rückgriff auf einen anderen Lyriker, Walt Whitman, genauer ausgeführt wird. Wenn ein Mensch stirbt, stirbt ein ganzer Kosmos, denn das Selbst, angefüllt mit Erfahrungen, Erinnerungen, Fantasien, umfasst „Multitudes“, Vielheiten. In der Skizze von Chucks Kindheit und Jugend entfaltet sich ein Blick auf die Genese seiner Welt, geprägt durch geliebte Menschen wie seine „Bubbe“ und seinen „Zayde“ (jiddisch für Oma und Opa), Verlusterfahrungen, aber auch Glück und Leidenschaften wie das Tanzen. Und mittels eines übernatürlich-unheimlichen Twists wird noch einmal das zentrale Thema variiert und umspielt, die Tragik des Daseins, über dem wie ein Schatten das Wissen um Vergänglichkeit und Tod liegt und das diesem Wissen zum Trotz gelebt und geliebt werden will.
Diese Struktur, die eher etwas von einem Musikstück als von einer klassischen Erzählung hat, funktioniert durchaus auch als Film. Allerdings findet Flanagan nie so richtig seinen eigenen Beat oder seine eigene Melodie. Mitunter wirkt es so, als wolle der passionierte Horror- und King-Fan Flanagan allen Miesmachern, die über das Genre im Allgemeinen und King im Besonderen die bildungsbürgerlichen Nasen rümpfen, beweisen, dass Horror auch eine philosophische Substanz haben kann. Mit dem Ergebnis, dass in „The Life of Chuck“ zwar viel sinniert wird, oft auch recht unbeholfen mittels einer Erzählerstimme als Voice-over, welche die literarische Vorlage einspricht. Doch die Bilder geraten nur selten ins Tanzen.
Am meisten fällt das im ersten Kapitel auf, wo das Weltuntergangs-Sujet eigentlich eine Steilvorlage für markerschütternde Visualisierungen liefern könnte. Flanagan aber scheint mit geradezu prüder Berührungsangst den Eindruck vermeiden zu wollen, man hätte es hier mit dystopischem Genrekino zu tun. Stattdessen wird die Apokalypse zerredet. Etwa wenn Marty seiner Ex, zu der es ihn angesichts des drohenden Totalzusammenbruchs wieder hinzieht, am Telefon zunächst einen Vortrag über Zeit und Kosmos hält.
Zu wenige Abgründe
Während die literarische Erzählung von Stephen King sozusagen am Abgrund entlangbalanciert, zwischen der Schönheit eines ganz normalen, unspektakulären Lebens und dem Grauen angesichts von dessen Auslöschung, verschafft sich der Film Sicherheitsnetze aus Erbaulichkeit. Nicht zuletzt durch die Musik der Newton Brothers, die wenig tut, um tonale Spannungen und Abgründe zu erzeugen, sondern eher gefühlig-erhebend sein will. Zudem arbeitet Flanagan immer wieder mit kleinen, betulichen Verstärkern. Wenn etwa in Kapitel 3 die Tür zu einem Geheimnis, das Chucks Großvater hütete und das in der Erzählung erst nach dem Tod des Opas gelüftet wird, im Film schon zu dessen Lebzeiten aufgestoßen wird, um einen Anlass für eine tränenreiche Wiedergutmachungsszene zwischen den beiden zu haben.
Dank der guten Darsteller – allen voran Tom Hiddleston als erwachsener Chuck, dem man stundenlang beim Tanzen zusehen könnte – und der Qualitäten der Vorlage ist immer noch ein ansehnlicher Film entstanden. Man hätte den Darstellern wie auch dem Stoff aber eine wildere, freiere Inszenierung gewünscht, die sich mehr dem Beat und den Bildern hingegeben hätte. Mit dem Filmemachen ist es wie mit dem Tanzen, Radfahren oder Skaten in Kings Büchern: Drive entsteht erst dann, wenn man keine Angst vorm Hinfallen hat. Flanagan aber scheint sein Respekt vor dem Text eher ausgebremst als beflügelt zu haben.